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Über Hass und Rassismus

Im Herbst 2018 fragte mich meine sehr gute Freundin, die Künstlerin, Drehbuchautorin und Filmemacherin Tatiana Calasans, ob ich als Kameramann an einem Filmprojekt über das Aufwachsen schwarzer Jugendlicher im Deutschland der 1990er Jahre mitwirken wollte.

Mich reizte das Projekt auf Anhieb, doch hatte ich auch jede Menge Fragen. Technische, stilistische, inhaltliche, dramaturgische. Aber auch viele Fragen nach Tatianas Motivation – sie selbst ist auch schwarz und kam im Alter von sieben Jahren von Brasilien nach Hamburg – diesen Film zu machen.

Die vielen Gespräche, die wir daraufhin zur Vorbereitung von „Wer wir sein wollten“ miteinander hatten, führten mir den täglich erlebbaren Rassismus, die stillen und offenen Anfeindungen, die subtilen und gewollten Auseinandersetzungen, die Situationen, in denen geschwiegen und wegschaut, statt eingeschritten und gehandelt wird, die von Menschen geduldet oder ausgeblendet werden, aus Tatianas Sicht eindringlich vor Augen.

Im Laufe des Frühjahrs 2019 besuchten wir die vier ProtagonistInnen in ihren Heimatorten in verschiedenen Gegenden Deutschlands, interviewten sie und fingen die Stätten, die für sie in ihrem Heranwachsen von besonderer Bedeutung waren, mit der Kamera ein.

Ich war beschämt darüber, wie wenig ich wusste, obwohl ich vieles zu wissen meinte.

Die Interviews, die wir dabei führten, waren für mich intensiver und nachdrücklicher als alle Eindrücke und Erfahrungen, die ich bis dahin zum Thema Rassismus gemacht hatte und ich war beschämt darüber, wie wenig ich wusste, obwohl ich vieles zu wissen meinte. 

Die Hinnahme des Unabänderlichen („Das ist nun mal so …“), das Arrangieren mit alltäglichen Anfeindungen, das Bemühen, sich unsichtbar zu machen, um nicht aufzufallen und keinen Ärger zu provozieren, die Anstrengungen, um besonders gut zu sein und sich nichts zu Schulden kommen zu lassen, die Erwartungen der eigenen Familie und des Umfelds und die schwierige, fast schon beständige Suche nach der eigenen Identität bestimmen die Erzählungen der ProtagonistInnen. Sie eint ihre rassistischen, diskriminierenden und ausgrenzenden Erfahrungen. Sie eint ihre Bereitschaft, ihre Geschichte zu erzählen und den Opfern des alltäglichen Rassismus ein Gesicht, eine Stimme zu geben.

Unverkennbar ist aber ihre Individualität und ihre Persönlichkeit. Hier sprechen Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit, mit all ihren Träumen und Hoffnungen, mit all ihren Gefühlen und Erfahrungen und persönlichen Lebenswegen. Menschen in ihrer ganzen faszinierenden Einzigartigkeit.

Rassismus entsteht aus Verallgemeinerungen, Vereinfachungen, Pauschalierungen.

Rassismus aber entsteht aus Verallgemeinerungen, Vereinfachungen, Pauschalierungen. Die Masse hat kein Gesicht, sie stellt eine diffuse und leicht zu benennende Bedrohung dar. Verallgemeinerung bereitet den Boden für den Hass. Sie lässt das Individuum, den einzelnen Menschen, außen vor und schafft mit dieser Simplifizierung eine breite Angriffsfläche.

Dem alltäglichen Rassismus entgegenzuwirken bedeutet daher zwingend, diese Verallgemeinerungen zu entlarven, sie aufzubrechen und den Menschen dahinter zu zeigen, ihm einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte zu geben.

Genau das tut dieser Film und formuliert es als stille Aufforderung an seine ZuschauerInnen und uns alle, sich nicht von Vereinfachungen und Pauschalierungen, und seien sie noch so subtil, verführen zu lassen, sondern hinter jeder rassistischen Handlung und jeder rassistischen Aussage den betroffenen Menschen zu sehen.

Ein einfacher Appell an unsere Empathie, an uns als Mit-Menschen, als mit-fühlende Wesen. Wir müssen ihn nur in die Tat umsetzen.

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